KOLUMNE

Mach es nicht zu deinem projekt

Wie die meisten Menschen habe ich im ersten Lockdown mit dem Brotbacken angefangen. Anfangs war das wohltuend – knetende Ablenkung und sonntags stand frisches Brot auf dem Tisch. Dann wurde es kompliziert. Ich brauchte dringend verschiedene Gärkörbchen und Mehl von französischen Mühlen und verbrachte viel Zeit in Brotforen im Netz, wo Menschen ihren Sauerteigstarter mit in die Flitterwochen nahmen. Mein Küchenbackofen nervte mich wegen seiner Temperaturschwankungen, meine Familie nervte ich mit teigbedingten Stimmungsschwankungen. Plötzlich war das Brotbacken nicht mehr liebenswertes Vorhaben für einen Sonntag, sondern ein ernstes Hobby, beinahe stressig. Dabei gibt es in meiner Straße eine tolle Bäckerei. Als ich nach einem halben Jahr mal wieder da war und komplikationsfrei gutes Brot gegen Münzen tauschen konnte, ganz ohne Wecker stellen und Mehlsack wuchten, war ich vom Brotfieber geheilt.

Es ist schön, etwas selber zu machen, das man bis dahin immer fertig gekauft hat. Es stretcht das Gehirn, zu wissen, welche Geheimnisse hinter einem echten Baguette, einem perfekten Espresso oder einer originalen Pizza stecken. Aber man muss trotzdem nicht alles zu seinem Projekt machen, wie es die Baumarktwerbung will. Es ist zur Krankheit der verhinderten Selbstversorger*innen in den Städten geworden, sich jedes Produkt, jedes Connaisseurtum anzueignen und das Prädikat „Selbergemacht“ als höchstes Gütesiegel zu betrachten. Aber das ist es nicht, zumindest solange man nicht fernab vom Einzelhandel im Outback lebt. Ich habe zehn verschiedene Kaffeebrühsysteme alt werden müssen, bis ich mir eingestehen konnte, dass es den besten Espresso bei dem kleinen Illy-Café auf dem Weg zur Arbeit gibt. Seitdem mache ich zu Hause nur passablen Kaffee, das genügt. Dafür muss ich keinen neurotischen Zweikreiser mehr ertragen und keine Röstungs-Fachsimpelei und darf ein paarmal pro Woche einem Profi zusehen, wie er intuitiv seine Maschine bedient.

Die Technik gaukelt uns vor, dass wir alles selbst in Bestform hinkriegen: Räuchern und Pizzabacken, Filme in Kinogröße, Fräsen wie ein Tischler, Bierbrauen in der Badewanne und gärtnerische Selbstversorgung am Balkon. So verlockend das bisweilen klingt, wir vergessen dabei, dass wir eigentlich schon Jobs haben. Und wir missachten Ausbildung, Erfahrung und Kunstfertigkeit der Menschen, die diese Dinge zu ihrer Profession gemacht haben. Ein Connaisseur ist nicht jemand, der sich von der eigenen Produktion abhängig macht, sondern der weiß, bei wem er die beste Qualität bekommt. Also ja, selber machen! Aber sich bitte gleich mit dem Amateurstatus zufriedengeben.

Text: Max Scharnigg
Illustration: Dirk Rittberger

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